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Der Tristanakkord

Versuch einer Deutung
Ein Beitrag zum Wagner-Jahr 2013 von Herbert Krey 

Richard Wagner
(1813-1883)

 

TRISTAN UND ISOLDE
Erster Aufzug,  Einleitung

   

Liebestrank-Motiv  (Es fehlen noch dynamische Zeichen und weitere Notenbeispiele)

Analyse (Teil A 1969/ Teil B und redaktionelle Gesamtabfassung2013)

Langsam und schmachtend

 

Den gelb markierten Akkord nennt man „Tristanakkord“.

 

A

 

Vorausgesetzt,    

ich darf  alle Intervalle enharmonisch verwechseln,
alle Töne auf eine einzige Oktave zusammenziehen
und  die Lage der Töne im Akkord verändern, 
dann ergibt sich  folgende Analyse des Tristanakkords:

 

Er besteht aus : „f“-„h“ und „dis“-„gis
oder anders gelegt aus „h“-„dis“ und „f“-„gis“,
und enharmonisch verwechselt  aus den zwei Terzen: „h“ –„dis“ und „f“ –„as“.

 

Liebestrank-Motiv:

  • Zu Beginn des zweiten Taktes steht  (also)  ein vierstimmiger Akkord (A)  mit einer Großen Terz („h“ – „dis“ )  und einer Kleinen Terz  ( „f“- „as“).
  • Ihm folgt auf dem sechsten Achtel des  gleichen Taktes wiederum ein  vierstimmiger  Akkord (B), aber mit zwei Großen Terzen („h“-„dis“ und „f“- „a“).
  • Im dritten Takt auf der Eins besteht der vierstimmige Akkord (C)  gleichfalls aus  zwei Großen Terzen ( „e“-„gis“ und „b“- d“)

Wir haben also drei Akkorde, wovon der erste aus einer Großen und einer Kleinen Terz besteht (Tristanakkord) und die beiden anderen  aus zwei Großen Terzen gebildet sind und auf verschiedenen Stufen stehen.
Der vierte Akkord ( D ) „E/7“  und der erste Takt werden später behandelt.

 

Wie mag Wagner die Töne der drei Akkorde gefunden haben? Wie hat er sie miteinander verbunden?

Beginnen wir mit dem letzten Akkord (C) (immer mit Blick auf die Terzen und enharmonisch verwechselt):

Die Intervalle „e“-„gis“ und „b“ - „d “ (C) haben ihren gemeinsamen „Stammplatz“ in dem Tritonus „a“ –„dis“ (B), der ihnen  auf dem sechsten Schlag des zweiten Taktes vorangeht. Den Tritonus  findet  man in den beiden Oberstimmen des Akkords (B) als verminderte Quinte „dis“ – „a“. Seine Spannung kann entweder nach E-Dur, e-Moll oder nach B-Dur, b-Moll  aufgelöst werden.

Aber Wagner macht etwas anderes, er lässt  beide Auflösungsmöglichkeiten ( „e“-„gis“ -  „d“  - „b“) gleichzeitig erklingen.

Wir haben also für den Akkord (C) nur  einen einzigen Tritonus („a“-„dis“) als Lieferanten  der Akkord-Töne (C ), obwohl sogar noch  ein weiterer Tritonus und zwar in den Unterstimmen zur Verfügung steht, nämlich „f“ – „h“ mit den beiden Auflösungsmöglichkeiten nach  C-Dur, c-Moll oder Des-Dur, des- Moll.

Doch Wagner lotet nicht alle Auflösungsmöglichkeiten dieses „Tritonus-Clusters“ aus.
„Warum?“ soll im Weiteren einer Erklärung zugeführt werden.

Immerhin sahen wir, Wagner ist es bei dem Akkord (C) gelungen, beide Auflösungsmöglichkeiten des Tritonus  „a“  -  „dis“ gleichzeitig  zu verwenden. Das ist erstaunlich genug, und es handelt sich noch nicht einmal um den authentischen Tristan-Akkord!
Der ist, wie bereits angekündigt, der Akkord (A) mit den Tönen „f“ – „h“ und „dis“ – „gis“, enharmonisch verwechselt mit den Terzen „h“ –„dis“ und „f“ –„as“.

Wenn wir nun, wie bei Akkord ( C ) zur Bestimmung des Tristanakkords  ( A ) ebenfalls einen vorangestellten Tritonus suchen, was  bei Wagners  ausgeprägtem Gefühl für Form, Stimmigkeit und Konsequenz  keineswegs abwegig ist, dann sehen wir, dass nur ein einziger Ton, das „e“, uns von ihm gegeben ist. Doch es fällt auf, es bietet sich für einen Tritonus zum „e“  das „b“ an, als „Stammplatz“ und Lieferant des Akkords  „f“-„h“-„dis“-„gis“  ,  des „geheimnisvollen“ Tristanakkords. 

Demnach ist der Tristanakkord das gleichzeitige Erklingen der beiden Auflösungsmöglichkeiten „h“- „dis“ – „f“ - „as“  des latenten Tritonus  „b“-„e“  hin zur Dur - und gleichzeitig zur moll – Terz und „versteckt“ in der von Wagner notierten Lage:
 „f“-„h“- „dis“- „gis“.

Dem werden im folgenden Akkord (B) durch das neue „a“ in der Oberstimme und mit Hilfe des Tritonus „a“-„dis“  melodisch wie harmonisch  kunstvoll Türen aufgetan. 

Der Tristanakkord (A) mit der moll-Auflösung „f“-„as“ und der Dur-Weiterführung nach „f“-„a“ im Akkord (B ) zeigt den gemeinsamen  „Stammplatz“ beider Akkorde: Den Tritonus „b“-„e“ ! 
Der Akkord ( C ) unterscheidet sich von ( B ) dann nur noch durch seine veränderte Standorthöhe  ( „e“-„gis“ und „b“- d“) bzw. („h“-„dis“ und „f“- „a“).

 

Wir können die Akkorde (A) , (B) und (C )  als Tristanakkordfeld bezeichnen, weil sie sich wegen ihrer gleichen Statur  von dem Unisono- Anfang und dem (D )„E/7“-  Akkord    abgrenzen  -  auf das Schärfste verdeutlicht  durch Wagners gegenläufige Dynamik und durch  den Akzent auf der Eins des zweiten Taktes –, wobei nach dem pianissimo das unerwartete  piano auf dem Akkord (C ) das Ende  des Tristanakkordfelds  verschleiert, aber zugleich  ein wenig Tempo mitbringt für das abschließende  Achtel mit dem ( D ) „E/7“ - Akkord..

 

Es ist gut, dass Richard Wagner im ersten Takt den zweiten Tritonus- Ton, das  „b“, uns vorenthält. Um so unheimlicher ist unsere Erstarrung, wenn im Anfang ohne Vorzeichen und  pianissimo die Unisonomelodie aufwärts mit der kleinen Sexte „a“ –„f“ „langsam und schmachtend“ anhebt, sich zum „e“ hin  neigt und uns mit einer geheimnisvollen Kraft hinabzieht in den Tristanakkord, den gierenden Tritonus- Cluster, der uns eiskalt glühen lässt und uns aus dem crescendo des Anfangs  mit einem erbarmungslosen Akzent tief in einen finsteren Schlund hinabschrauben will. Doch unser Aufbäumen ist zu schwach, um mit der  anschließend aufsteigenden Oberstimme  gegen Wagners decrescendo und die zwei neuerlichen  Akkorde, geboren in der „Hölle der Tritonen“, ankämpfen zu können. Wir versinken  in finsteres Verschwinden.  Nur mit dem  piano - Akkord (D )„E/7“ werden wir im letzten Moment mit Hilfe dieses sicheren Ankers der alten Lehre doch noch zügig  zurückgeworfen auf die schwache Hoffnung eines festen Landes.

Vermutlich wäre die Musikgeschichte eine andere geworden, hätte Wagner im zweiten Takt auch den Tritonus „f-h“ genutzt  und beide Auflösungen bis ins Unendliche, Zins und Zinseszinsen gleich, konsequent  weiter verfolgt. Denn löse ich einen Tritonus  in zwei große Terzen auf, vorausgesetzt, ich nutze die „Reine Stimmung“ und nicht die beschränkende „Temperierte“, dann erhalte ich zwei weitere  Tritoni, die aufgelöst werden wollen mit der Möglichkeit zu weiteren Auflösungen, entsprechend dem Zahlenstrahl  1-2- 4-8-16-32-64 etc. bis ins Unendliche. Hinzu kommen die gleichen endlosen Auflösungsmöglichkeiten der Tritonus-Cluster zu den kleinen Terzen .
Das kompositorische Material wäre damit gewaltig und könnte für viele tausend Jahre reichen. 
Doch soweit wollte Wagner nun doch nicht gehen. Er suchte ein Motiv, das sein Publikum sofort in seinen Bann zieht, und das ist ihm in hervorragender Weise gelungen. Er fesselte nicht nur seine Hörer, sondern sogar die gesamte Musikwissenschaft, die sich noch heute fragt, wie der Komponist die Töne für das Tristanmotiv gefunden hat.
Ich meine aber, ganz einfach durch einen Verzicht.
Er hat uns einen der beiden Tritonustöne vorenthalten und gewann Zauber, Geheimnis und Macht. 
Wir aber sollten versuchen, die immanenten Ideen des Zaubertrankmotivs für eine neue Zeit umzusetzen.

So könnte es eines Tages eine Musik geben, die bei Wagners Tristanakkord ansetzt und  das Prinzip der ständig sich selbst produzierenden Tritoni- Cluster in stets reiner Stimmung  aufgreift, was schließlich auch noch zu unendlich vielen Mikro- und Makro-Intervallen führt. Dann wäre der Tristanakkord der Beginn einer Neuen Lehre der Harmonien und nicht das Ende der Harmonielehre.


Ich weiß nicht, ob Wagner  das so gesehen hat, wie ich es darzustellen versucht habe. 
Aber ich glaube fest daran, dass er es in seiner Genialität so gehört hat.
Ich aber kann nur bescheiden Danke sagen.


Teil A 1969,  als Notiz
Teil B und die redaktionelle Gesamtabfassung 2013, beendet am 30.September 2013

Herbert Krey, Kleve

 

 

 

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